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3. Weimar Republic History Berlin Kurfürstendamm
Der Boulevard boomt in der Weimarer Republik von 1919 bis 1933

Wenn irgendwo die Rede von den goldenen Zwanziger Jahren zutrifft, dann am Kurfürstendamm. Alle Grundlagen waren im wilhelminischen Kaiserreich gelegt worden, und nach der Zwangspause im Ersten Weltkrieg konnte der Boulevard nahtlos da anschließen, wo er vor dem Krieg aufgehört hatte. Das Tempo beschleunigte sich, aber mit jeder Umdrehung wurde auch der Streit heftiger. Was die einen als modern, international und sensationell bejubelten, beschimpften die anderen als dekadent, undeutsch und unmoralisch. Und es blieb nicht bei verbalen Angriffen. Die zuneh-mende Aggressivität der Rechtsextremisten mündete am Ende der Zwanziger Jahre in antisemitische Pogrome auf dem Kurfürstendamm.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren die Anhänger der untergegangenen Monarchie in der Defensive. In der Weimarer Republik gab die Moderne, die sich im Kaiserreich mühsam hatte durchsetzen müssen, den Ton an, und der Kurfürstendamm war das Experimentierfeld der Moderne.

U
p to date am Kurfürstendamm

Der Berliner Journalist Hardy Worm schrieb 1921: "Der Kurfürstendamm ist das, was der Berlin 'feine Jejend' nennt. Wo Regierungsräte, Hochstapler, Bankdirektoren, Schieber, Schauspielerinnen und Kokotten wohnen; derjenige, der am Kurfürstendamm haust, und sei es auch nur im Gartenhaus vier Treppen hoch, gilt als feiner Mensch, als gutsituierter Mensch. Und wenn er einen telefonischen Nebenanschluss hat, ist er ein kreditfähiger Mensch. Für Leute, die vorwärtskommen wollen, ist es also notwendig, am Kurfürstendamm zu wohnen. Zumindest aber in Berlin W."
Am Kurfürstendamm war man up to date, wie es damals hieß. Gegen die moderne City-Filiale wirkte die alte Berliner Mitte etwas antiquiert. Das heißt natürlich nicht, dass sie keine Bedeutung mehr hatte. Regierung und Verwaltung, Pressezentrum, Universität, Museen, Oper, Theater, das Konfektionsgewerbe, die großen Kaufhäuser blieben natürlich im Bereich der alten Mitte, aber in der City-West eröffneten sie vielfach Filialen, und die waren moderner und glamouröser als die Stammhäuser.
Die Konkurrenz der Zentren war das, was Berlin für den internationalen Tourismus so attraktiv machte, und der Vergnügungsbetrieb war am Kurfürstendamm immer einen Schritt voraus. Die Tanzdielen, Cafés, Kabaretts, Revuen und Theater waren origineller, avantgardistischer, erotischer, geistvoller und anzüglicher. Das Publikum war prominenter, die Künstler verrückter, die Autos schneller. In den großen Premierenkinos gaben sich die Stummfilmstars persönlich die Ehre, und nach der Einführung des Tonfilms 1927 zeigten die Kinos am Kurfürstendamm die amerikanischen Filme zuerst und im Original, bevor sie in synchronisierter Fassung in der Friedrichstraße liefen.

Präsenzpflicht in der "City-Filiale"

Der Begriff "City-Filiale" bürgerte sich ein. Hier nur ein paar wenige Beispiele für berühmte Filialen am Kurfürstendamm: Am 30.9.1926 eröffnete Kempinski am Kurfürstendamm 27 eine Filiale als zweistöckiges Weinrestaurant, das mit halben Portionen zu halben Preisen ein großes Publikum anlockte. Am 1.11.1926 eröffnete das bekannte Wäschehaus Grünfeld seine Filiale mit gläsernem Aufzug am Kurfürstendamm 227, wo heute das Kudamm-Eck mit großer Videowand auf sich aufmerksam macht. Am 3.1.1927 eröffnete der berühmte Rennfahrer Ruolf Caracciola am Kur-fürstendamm 66 eine Mercedes-Filiale. Am 4.6.1932 eröffnete Café Kranzler am Kurfürstendamm 18/19 seine Filiale.

Foto:Landesarchiv Berlin Die Erdgeschosse der vornehmen Mietshäuser waren jetzt fast vollständig mit Cafés, Restaurants, Geschäften, Kinos und Theatern gefüllt. Manche der reich verzierten Fassaden wurden entstuckt, um mehr Platz für Werbung zu erhalten. In der einzigen verbliebenen Baulücke am Kurfürstendamm 153-156 entstand als imposantes Beispiel moderner Architektur der 1928 eröffnete Komplex des Universum-Kinos und des Kabaretts der Komiker von Erich Mendelson. Heute ist in dem rekonstruierten Bau die Schaubühne am Lehniner Platz untergebracht. Aber auch dieser Neubaukomplex war verbunden mit Wohnungen. Der Kurfürstendamm blieb bei allen City-Funktionen, die hier angesiedelt wurden, eine Wohnstraße des reichen Bürgertums. Hier paarten sich auf eine wohl einzigartige Weise hochelitäre Lebenskultur und öffentliche Präsentation für ein Massenpublikum. Die City-Filiale war vornehm, teuer und exquisit, aber doch auch populär. Dienstboten und ihre Herrschaften saßen hier nebeneinander im Gloria-Palast, in der Nelson-Revue oder im Zigeunerkeller und besuchten gemeinsam die neuesten Sensationen im Lunapark. Klassenschranken schienen hier keine Bedeutung zu haben.

Der Siegeszug des Tonfilms am Kurfürstendamm

Der Film wurde zum wichtigsten Medium der Unterhaltungsindustrie und setzte Trends. Am 27.2.1920 wurde im Marmorhaus am Kurfürstendamm der expressionistische Film "Das Kabinett des Dr. Caligari" uraufgeführt. Robert Wiene schuf im wohl berühmtesten deutschen Stummfilm eine alptraumhafte Atmosphäre für eine phantastische Geschichte, in der jegliche Autorität als brutal und wahnsinnig erschien. Die Kinos am Kurfürstendamm, die Läden mit ihrem Dekor, die Bucheinbände, Plakate, selbst der moderne Tanz, alles zeigte sich im Caligari-Stil der "farbenschreienden Linienverschiebung". Man wurde Caligari, und vom Kurfürstendamm aus verbreitete sich der Stil über ganz Berlin und in die Provinz.

Foto:Landesarchiv Berlin
Am 11.9.1922 wurde im gerade eröffneten Alhambra-Kino am Kurfürstendamm 68 (heute Hotel Kurfürstendamm) der erste Tonfilm der Welt gezeigt. Die Erfindergemeinschaft Tri Ergon, Jo Engl, Joseph Massolle und Hans Vogt hatte mit ihrem Lichttonverfahren die technischen Grundlagen für den Tonfilm geschaffen und demonstrierte dies mit einem Experimentalfilm. Die neue Erfindung stieß zunächst auf heftigen Widerstand. Kritiker befürchteten einen Niedergang der Schauspielkunst und die Künstlergewerkschaften einen Verlust von Arbeitsplätzen, vor allem für die Orchestermusiker, die in den großen Kinos zu den Aufführungen spielten. Auf Plakaten stand zu lesen: "Der Tonfilm verdirbt Gehör und Augen" oder "Der Tonfilm ohne Beiprogramm mit lebenden Künstlern wirkt nervenzerrüttend!" Wie so häufig kam die deutsche Erfindung erst über den Umweg Amerika als durchschlagendes Erfolgsmodell zurück. Nach der Premiere von "The singing fool" am 10. Juni 1929 im Gloria-Palast gab es kein Halten mehr. Innerhalb kürzester Zeit verschwanden die Stummfilme von den Programmen und viele neue Filme spielten als Musikfilme die neuen technischen Möglichkeiten aus. Die Ufa schloss sich dem Trend an: Am 1.April 1930 wurde – ebenfalls im Gloria-Palast – "Der blaue Engel" uraufgeführt und mit Marlene Dietrich ein Weltstar für das Kino geboren.

Foto:Landesarchiv Berlin Der Gloria-Palast war am 26.1.1926 als wohl luxuriösestes Kino seiner Zeit im völlig umgebauten Ersten Romanischen Haus westlich der Gedächtniskirche eröffnet worden. Da man die romanische Fassade nicht umgestalten konnte, wurden die Fenster genutzt, um mit großen, hell leuchtenden Buchstaben für das neue Kino zu werben.


Der Gloria-Palast hatte die Adresse Kurfürstendamm 10, und mit der Hausnummer 10 beginnt der Kurfürstendamm seit dem 22.4.1925. Denn an diesem Tag wurde der Teil zwischen Landwehrkanal (Corneliusbrücke) und Auguste-Viktoria-Platz (heute Breitscheidplatz) in Budapester Straße umbenannt. Die frühere Budapester Straße war nach dem Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert nach ihm benannt worden, und die Ungarn wurden nun am Kurfürstendamm entschädigt.

Der Sex-Appeal der "Schwarzen Venus"

Im Januar 1926 machte Josefine Baker Sensation. Sie gastierte im Nelson-Theater am Kurfürstendamm 217 und brachte Jazzmusik, amerikanische Erotik und einen neuen Tanz, den Charleston, mit. Die Abende der "Schwarzen Venus" waren restlos ausverkauft. Der Begriff "Sex-Appeal" wurde zum Modewort. Das Publikum war begeistert, und die Hüter der Moral waren wieder einmal entsetzt.
Man kann diese bornierten, rassistischen Hinterwäldler heute gar nicht mehr zitieren. Über die selbstbewusst auftretenden Frauen hatten sie sich schon lange aufgeregt. Denn auch für die Emanzipation der Frau war der Kurfürstendamm zum Schauplatz und zum Symbol geworden. Der konservative Publizist Richard Korherr schrieb 1930: "Man wird am Kurfürstendamm kaum eine Dame zu sehen bekommen, die nicht wie ein Indianer auf dem Kriegspfade bemalt ist. Jedem natürlichen Menschen kommt der Ekel vor solch einer Frau; der Kurfürstendamm-Besucher aber ist entzückt." Die Menschheit wurde also eingeteilt in natürliche Menschen und Kurfürstendamm-Besucher.

Foto:Landesarchiv Berlin Neben den großen Kinos eröffneten in den Zwanziger Jahren neue Theater, Revue- und Kabarettbühnen: 1920 das Nelson-Theater des populären Pianisten und Komponisten Rudolf Nelson am Kurfürstendamm 217, am 23.12.1920 das Kabarett "Größenwahn" von Rosa Valetti am Kurfürstendamm 18/19, am 8.10. 1921 das "Theater am Kurfürstendamm", Nr. 208/209, am 1.11.1924 die "Komödie" unter Max Reinhardt am Kurfürstendamm 206/207. Ständig gab es neue Aufführungsorte für große Aus-stattungsrevuen und kleine Kabarettbühnen in Hotels, Cafés oder Kellerlokalen. In unzähligen Tanzlokalen, Ballhäusern und Hotelsälen spielten die berühmten Tanz- und Showorchester von Bernhard Etté, Barnabas von Géczy, Adalbert Lutter, George Boulanger, Dajos Bela, Marek Weber, Teddy Staufer und vielen anderen.

Die fruchtbare Verbindung von Geist und Geld


Foto:Landesarchiv Berlin
Berühmt war der Kurfürstendamm vor allem für seine unzähligen Cafés. Eine der wichtigsten Aufgaben der Cafés war es, Künstler und ihre Mäzene, Schauspieler und ihre Regisseure, Schriftsteller und ihre Verleger zusammenzuführen, damit Kunst und Geld eine fruchtbare Verbindung eingehen konnten. Die literarischen Cafés des Berliner Westens waren Umschlagplätze für Literatur, Geist und Kultur. Hier wurde Starkult betrieben, wurden hohle Phrasen gedroschen, aber auch Projekte geschmiedet, Kontrakte unterschrieben und Genies entdeckt.
Die kulturelle Avantgarde und künstlerische Prominenz blieb auch in den Zwanziger Jahren am Kurfürstendamm. Aber sie hatte die Lokalität gewechselt. Das "Café des Westens" hatte ausgedient. Stattdessen bekam nun das Romanische Café im Zweiten Romanischen Haus östlich der Gedächtniskirche zwischen Tauentzienstraße und Kurfürstendamm (seit 1925 Budapester Straße) einen legendären Ruf: Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Ernst Rowohlt, Egon Erwin Kisch, Anita Berber, Otto Dix, Heinrich Zille, Asta Nielsen, Klabund, Emil Orlik, Billy Wilder, Robert Siodmak, Gott-fried Benn, Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Elisabeth Bergner, Bert Brecht, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Carl Zuckmayer, Rudolf Nelson, Trude Hesterberg, Joseph Roth ... es dürfte kaum einen prominenten Kulturschaffenden der zwanziger Jahre geben, der hier nicht gesehen wurde.
Über das "Romanische" wurden unzählige Geschichten erzählt und Erinnerungsbücher geschrieben, und jeder zählte seine persönlichen Stars auf, mit denen er hier zusammensaß. Viele Berichterstatter staunten über den Gegensatz zwischen dem legendären Ruf und dem eher unattraktiven Erscheinungsbild. Wie eine Bahnhofswartehalle wirkte der Raum, kalt und ohne Atmosphäre mit seinen Marmortischen. Das Café lebte ganz von seinen berühmten Gästen.

Denkmalschutz und moderne Architektur

Foto:Landesarchiv Berlin
Das Romanische Forum am Auguste-Viktoria-Platz mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stand zwar unter Denkmalschutz, aber das verhinderte nicht, dass der Gloria-Palast und das Romanische Café in die beiden Romanischen Häuser westlich und östlich der Gedächtniskirche einzogen. Die bisher offene Nordseite am Zoologischen Garten aber wurde von Hans Poelzig, einem der bedeutendsten Architekten der Zwanziger Jahre bebaut. In der Mitte eines über 133 Meter langgestreckten Geschäftshauses eröffnete am 15.12.1925 das Kino Capitol. Der Publizist Max Osborn begrüßte in der "charaktervollen modernen Bauanlage" den längst überfälligen Beitrag zur Auflockerung der starren romanischen Platzanlage, während der konservative Journalist Adolf Stein in dem "nüchternen, langen, gelbgetünchten Kasten" eine Verschandelung und Beleidigung der kaiserlichen Absichten sah. Wieder einmal wurde dem Kurfürstendamm "Talmiglanz" und amerikanische, also undeutsche Geschmacklosigkeit vorgeworfen.

Hass und Fanatismus

Immer wieder kam es in den Zwanziger Jahren auch auf dem Kurfürstendamm zu antirepublikanischen Ausschreitungen, etwa am Tag der Verfassungsfeier am 9.8.1925 oder am 20.3.1927 als Joseph Goebbels seinen Einstand als Berliner Gauleiter der NSDAP gab und mehr als 600 SA-Männer auf den Kurfürstendamm schickte, wo jüdisch aussehende Passanten angepöbelt wurden, Gäste im Romani-schen Café verprügelt und das Mobiliar zerschlagen wurde.

Foto:Landesarchiv Berlin Ihr brutalstes Pogrom vor der Machtübernahme veranstaltete die NSDAP unter der Leitung des SA-Oberführers und späteren Polizeipräsidenten von Berlin, Wolf Hein-rich Graf von Helldorf, am 12.9.1931. Die jüdischen Bürger hatten in den Synagogen ihr Neujahrsfest gefeiert. Als viele Juden aus der Synagoge in der Fasanenstraße zum Kurfürstendamm kamen, mischten sich über 1.500 Nationalsozialisten unter die Passanten, brüllten antisemitische Sprechchöre und verprügelten jüdisch aussehende Personen. Jüdische Lokale wurden zerstört, die Gäste misshandelt. Vor Gericht erklärte einer der Pogromhelden später höhnisch: "Wir wollten dem Kurfürstendamm einen Denkzettel geben."
Als Hitler im Januar 1933 Reichskanzler wurde, lief im Alhambra "Die blonde Venus" mit Marlene Dietrich, im Kabarett der Komiker brachten Curt Bois und Hans Moser die Zuschauer zum Lachen, im Eden-Hotel traten Rudolf Nelson und Hilde Hildebrandt mit ihrer Revue "Etwas für Sie" auf.

Autor: Karl-Heinz Metzger