Der Zankapfel Deutschlands Die Geschichte des Kurfürstendamms ist eine Erfolgsgeschichte, aber sie ist auch – von Anfang an bis heute – umstritten. Der Kurfürstendamm war immer im Verlauf seiner mehr als 100jährigen Geschichte mehr als eine erfolgreiche Einkaufsstraße. Er war immer auch ein Symbol, ein Wahrzeichen und als solches ein Zankapfel - für die einen Anlass zum Jubel, für die anderen Gegenstand der Verachtung. Der Boulevard ist nicht nur die meistbesuchte, sondern auch die meistdiskutierte Straße Deutschlands. Wer die Geschichte des Kurfürstendammes erzählen will, der kann sich also nicht auf die Geschichte der Berliner Straße zwischen Breitscheidplatz und Rathenauplatz beschränken, sondern er muss immer auch die Geschichte des Symbols mit bedenken – und das ist das Spannende am Kurfürstendamm: Seine Entwicklung ist ein Spiegel der deutschen Geschichte vom Kaiserreich bis heute. Vom Knüppeldamm zum Boulevard Dabei ist der Name "Kurfürstendamm" alles andere als symbolisch. Wie bei keiner anderen Straße bezeichnet der Name genau die reale Funktion, die sie hatte. In den Jahrhunderten vor ihrer Geburt als Boulevard führte sie durch teilweise sumpfiges Gelände als befestigter Knüppeldamm für die kurfürstlichen Reiter vom Tiergarten zum Grunewald. Denn als der Tiergarten für ein fürstliches Jagdrevier zu klein geworden war, ließ Kurfürst Joachim II 1542 mitten im Grunewald das Jagdschloss "Zum gruenen Wald" bauen, und natürlich musste ein Verbindungsweg vom Berliner Stadtschloss aus geschaffen werden. Auf einer Karte von 1685 ist der "Churfürstendamm" erstmals eingezeichnet. Noch heute erinnern die Namen der Seitenstraßen am westlichen Ende des Kurfürstendammes in Halensee an die preußischen Kurfürsten: Markgraf Albrecht I der Bär (1100-1170), Friedrich II "Eisenzahn" (1413-1471), Albrecht III Achilles (1414-1486), Johann Cicero (1455-1499), Joachim I Nestor (1484-1535), Johann Georg (1525-1598), Joachim Friedrich (1546-1608), Johann Sigismund (1572-1619) und Georg Wilhelm (1595-1640). Ironie der Geschichte: Genau dort, wo heute die Straßen der Kurfürsten kreuzen, führte der Reitweg gerade nicht entlang. Er knickte etwa auf der Höhe des heutigen Olivaer Platzes nach Süden ab und führte entlang der jetzigen Konstanzer Straße über das Dörfchen Wilmersdorf zum Grunewald. Hauptspazierweg statt gehobener Wohnstraße Die Entwicklung vom Knüppeldamm zum Boulevard ist ebenfalls einem Fürsten, nämlich Otto von Bismarck zu verdanken. Als er von der Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Versailles nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 nach Berlin zurückkam, wandte er sich gegen Pläne, den Kurfürstendamm wie viele andere Straßen in den westlichen Vororten Berlins lediglich zur gehobenen Wohnstraße auszubauen. In einem vielzitierten Brief an den Geheimen Kabinettsrat von Wilmowski forderte er am 5.2.1883 einen großzügigen Ausbau, da "der fiskalische Besitz ausnahmsweise Gelegenheit zu breiter und schönerer Straßenentfaltung bietet... Die Straße am Kurfürstendamm wird nach den jetzt bestehenden Absichten viel zu eng werden, da dieselbe voraussichtlich ein Hauptspazierweg für Wagen und Reiter werden wird. Denkt man sich Berlin so wie bisher wachsend, so wird es die doppelte Volkszahl noch schneller erreichen, als Paris von 800.000 Einwohnern auf 2.000.000 gestiegen ist. Dann würde der Grunewald etwa für Berlin das Bois de Boulogne und die Hauptader des Vergnügungsverkehrs dorthin mit einer Breite wie die der Elysäischen Felder durchaus nicht zu groß bemessen sein." Bereit für den Vergnügungsverkehr Die Champs-Elysées waren also das große Vorbild, auf das auch in der Presse immer wieder hingewiesen wurde, und Bismarck prognostizierte für den Kurfürstendamm als Hauptspazierweg einen schnell wachsenden Vergnügungsverkehr. Er sollte Recht bekommen, auch wenn seine Voraussage noch einige Jahre auf ihre Realisierung warten musste. Immerhin wurde 1875 schon einmal per Kabinettsorder die Straßenbreite für den auszubauenden Kurfürstendamm auf 53 m zwischen den Fluchtlinien der Häuser festgelegt: je 7,5m Vorgarten, je 4m Bürgersteig, je 10m Fahrbahn und 10m Mittelpromenade mit Reitweig. Das war zwar nur knapp halb so breit wie die Champs-Elysées, aber die am Kurfürstendamm interessierten Unternehmer hatten weniger Interesse an einer repräsentativen, breiten Straße als an möglichst lukrativem Baugrund. Der Ausbau vom Knüppeldamm zum Boulevard musste privat finanziert werden, und es war nicht einfach, die Geldgeber zusammen zu bekommen. Mehrere Versuche scheiterten. Schließlich gelang dem Baumschulenbesitzer John Booth als Vertrauensmann eines Bankenkonsortiums unter Führung der Deutschen Bank ein Kompensationsgeschäft. Gegen die Verpflichtung zum Ausbau der Straße erhielt die "Kurfürstendamm-Gesellschaft" ein Vorkaufsrecht auf 234 ha Grunewaldgelände zur Anlage einer Villenkolonie. Damit bekam das Konsortium nicht nur eine finanzielle Gegenleistung mit hohen Gewinnaussichten, sondern auch die Gewissheit, dass der neue Boulevard nicht im Wald endete, sondern in ein Siedlungsgebiet führte, und zwar in die Berliner Millionärskolonie. Der Ausbau der Straße begann 1883, und die Eröffnung der Dampfstraßenbahn vom Zoologischen Garten nach Halensee am 5. Mai 1886 kann als Geburtsstunde des Boulevards angesehen werden. Autor: Karl-Heinz Metzger |
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