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4. Nazionalsocialismo Storia Berlin Kurfürstendamm
Die Zerstörung des Boulevards im Nationalsozialismus 1933-1945

Die Nationalsozialisten haben den Kurfürstendamm gehasst. Oder besser: Sie haben alles gehasst, was sie mit dem Begriff Kurfürstendamm verbanden. Deshalb gibt es unzählige Hasstiraden von Nationalsozialisten auf den Kurfürstendamm, aber sie haben ihn merkwürdigerweise weitgehend in Ruhe gelassen und nicht mit größenwahnsinnigen Umbauplänen traktiert wie die alte Mitte. Der Kurfürstendamm lag quer zu den nationalsozialistischen Vorstellungen von Berlin, quer zu den großen Achsen, auf denen sie ihre imperialen Ansprüche für die Ewigkeit demonstrieren wollten. Der Kurfürstendamm lag aus ihrer Sicht im Abseits. Das kam ihm ein Stück weit zu Gute. Aber natürlich war er ebenso wie ganz Deutschland betroffen von der doppelten Zerstörung: von der Vertreibung und Ermordung vieler Menschen, die seinen großen Erfolg geschaffen hatten - Juden zu einem großen Teil – und von den Zerstörungen vieler Häuser in den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs.

Hass auf die Moderne

Ein gewisser Friedrich Hussong, Chefredakteur bei der rechtsnationalen Hugenbergpresse gab 1933 ein Buch heraus unter dem Titel "Kurfürstendamm. Zur Kulturgeschichte des Zwischenreichs". Mit "Zwischenreich" meinte er die 15 Jahre der Weimarer Republik, und er triumphiert über die geschlagene Demokratie: "Der Kurfürstendamm zog sich mitten durch ganz Deutschland ... das war ein Kulturbegriff schlechthin geworden. In seinen Namen gefasst war ... jede Fäulniserscheinung einer sich zersetzenden Gesellschaft... Der Kurfürstendamm ist heute besiegt und geschlagen."
Und wirklich: Viele Stammgäste des Romanischen Cafés mussten schon 1933 emigrieren. Max Reinhardt, Rudolf Nelson, Kurt Robitschek, die jüdischen Leiter der Theater, Revuen und Kabaretts ebenso. Die Kultur wurde zuerst "arisiert". Am 1. April 1933 waren viele Geschäfte am Kurfürstendamm vom sogenannten "Judenboykott" betroffen.

Aufschub

Andererseits wurde dieser Tag von vielen wie ein Spuk empfunden, der schnell vorbei ging, und der Kurfürstendamm blieb eine turbulente Einkaufs-, Café- und Kinomeile. Thomas Wolfe, der junge Erfolgsautor aus den USA, besuchte Berlin im Frühjahr 1935 und noch einmal während der Olympischen Spiele 1936. Er wohnte im Hotel am Zoo, Kurfürstendamm 25 und empfand den ganzen Kurfürstendamm als "größtes Caféhaus Europas".
In den Erinnerungen vieler Zeitzeugen erfuhr der Kurfürstendamm eine fast ungebrochene Fortsetzung der "Goldenen Zwanziger". 1936 gab es mehr Olympiafahnen als Hakenkreuzfahnen. Die Filmpremieren am Kurfürstendamm, besonders im vornehmen Gloria-Palast, waren auch jetzt noch große Ereignisse. Wenn auch viele bedeutende Regisseure und Stars nach Hollywood emigriert waren, gab es doch neue Stars, die sich nicht selten gemeinsam mit Goebbels oder Göhring bei den Premieren sehen ließen: Gustaf Gründgens, Harry Piel, Veit Harlan, Paul Wegener, Marika Rökk. Lil Dagover, Heli Finkenzeller, Leni Riefenstahl, Hans Albers, Heinz Rühmann, Willy Fritsch, Willy Birgel, Kristina Söderbaum usw..
Bis 1940 wurden am Kurfürstendamm noch englische und amerikanische Filme im Original gezeigt. Internationale Zeitungen, Zeitschriften, Comics, Jazzschallplatten und Bücher waren am Kurfürstendamm eher zu bekommen als sonst wo. Bis in die Kriegsjahre hinein konnte man hier ausländische Zeitungen wie etwa den New Yorker "Daily Herold" bekommen – mit Hitler-Karikatur auf der Titelseite.

Pogrom und "Arisierung"

Am 9. November 1938 wurde auch die Synagoge in der Fasanenstraße angezündet, und die jüdischen Geschäfte am Kurfürstendamm wurden systematisch zerstört. Erich Kästner, der damals in der Roscherstraße nicht weit vom Kurfürstendamm wohnte, war im Taxi auf dem Heimweg: "Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute ... Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt."

Foto:Landesarchiv Berlin Nach dieser Nacht begannen die "Maßnahmen zur Ausschaltung des jüdischen Einzelhandels", die systematische "Arisierung" der Geschäfte. In der "Zeitschrift des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller" wurden diese "Maßnahmen" statistisch erfasst und nüchtern kommentiert: Im Gegensatz zur alten Berliner Mitte und zu an-deren Stadtteilen gab es am Kurfürstendamm keinen langen Leerstand. Die ehemals jüdischen Geschäfte fanden schnell "arische" Inhaber. So übernahm etwa Max Kühl das traditionsreiche berühmte Wäschehaus Gründfeld. Zwar konnten nicht für alle exquisiten Modegeschäfte geeignete Nachfolger gefunden werden, und aus manchem wurde ein Zigarrenladen oder ein Fotogeschäft. Aber bereits im April 1939 resümierte die Zeitschrift: "Am Kurfürstendamm sind jetzt sämtliche Lücken wieder ausgefüllt."

Bombenkrieg

Nicht so schnell konnten die Lücken wieder ausgefüllt werden, die der Bombenkrieg seit dem November 1943 auch am Kurfürstendamm schlug. Am 23. November 1943 brannten die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Gloria-Palast, das Romanische Café und die benachbarten Wohn- und Geschäftshäuser völlig aus. Am Tag danach stürzte ein amerikanisches Kampfflugzeug in den Lichthof des KaDeWe. Das Haus brannte total aus. Weitere schwere Verwüstungen folgten. Bis zuletzt wurde Berlin sinnlos verteidigt. Am 23. März 1945 wurde in einem "Befehl des Luftflottenkommandos 6" der Kurfürstendamm als Startbahn für Kampfflugzeuge vorgesehen. Am 21. April wurde die Halenseebrücke noch einige Stunden gegen die Panzer der Roten Armee verteidigt, und am 28. April befahl Goebbels, den Zoo-Bunker bis zum letzten Mann zu verteidigen. bevor er am 30. April mit Hitler Selbstmord beging.

Widerstand?

Hat der Kurfürstendamm etwas mit dem Widerstand gegen die Nazidiktatur zu tun? Der gefürchtete Richter am Volksgerichtshof, Roland Freisler, war offensichtlich dieser Meinung. Im Prozess nach dem Attentat des 20. Juli 1944 auf Hitler verspottete er den Widerstandskämpfer Adam von Trott zu Solz mit den Worten: "Eine Jammergestalt an Körper, Geist und körperlicher wie geistiger Haltung, der Typ des geistreichelnden, entwurzelten, charakterlosen Intellektualisten vom Romanischen Café, eine Kurfürstendamm-Erscheinung."

Diese Äußerung bezieht sich auf ein Klischee, für das Deutschlands einziger Boulevard von Beginn an stand: Der Kurfürstendamm verkörperte die Moderne schlechthin: geistreiche Unterhaltungskultur, kommerzielle Vielfalt, Internationalität, Mobilität und schnellen Wandel. Für die Nationalsozialisten symbolisierte der Kurfürstendamm alles, was sie hassten. Für sie war er "undeutsch". Heute empfinden wir die Hasstiraden Roland Freislers und all der anderen als Auszeichnung - für die Widerstandskämpfer und für den Kurfürstendamm.

Autor: Karl-Heinz Metzger